Mein Weg mit der Gewaltfreien Kommunikation

Dank der GFK haben meine Tochter und ich ihre Pubertät überlebt. 2005 hat das Drama begonnen. Damals lebte ich mit meiner 13-jährigen Tochter als alleinerziehende Mutter zusammen. Unseren Lebensunterhalt verdiente ich als Software-Entwicklerin, angestellt in einer kleinen Firma in München. Meine Tochter und ich hatten immer ein sehr innigliches Verhältnis – bis die Zeit der Ablösung und Selbstbestimmung begann. Wo früher gemeinsame Unternehmungen und Miteinander unser Leben ausmachte, entwickelte sich das Leben daheim zunehmend zu einem Kriegsschauplatz prägt von Tränen, Selbstzweifeln und Streit.

Einige Zeit zuvor hatte ich das Buch von Marshall B. Rosenberg bereits gelesen – es hatte jedoch keinen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Irgendwer hat mir in dieser anstrengenden Zeit den Rat gegeben, mich mit der Gewaltfreien Kommunikation zu beschäftigen, und ich habe das Buch neu entdeckt. Das war der Beginn meiner Reise mit der GFK. Eine Reise, die u.a. dazu führte, dass meine Tochter und ich heute noch miteinander dieselbe Wohnung teilen und täglich wieder (meist) liebevollen Kontakt pflegen.

Nach dem erneuten Lesen des Buches entschied ich mich damals, ein Einführungsseminar zu besuchen. Ich war begeistert. So einfach erschien es mir, diese „Methode“ anzuwenden. 4 Schritte nur, die mein, unser Leben verbessern könnten. Daheim angekommen pflasterte ich die Wände unserer Wohnung mit Bildern aus dem Seminar. Ich wollte üben und lernen und war überzeugt, JETZT wird alles gut. Es hat dann doch noch etwas länger gedauert…

Vermutlich habe ich jedes Fettnäpfchen erwischt, das sich auf dem Weg eines GFK-Neulings finden lässt.

Daheim angekommen, wollte ich jede neue Erkenntnis gleich anwenden. Und es klang, natürlich, schauerlich. Meine Tochter hat damals sicherlich gedacht:: Jetzt ist sie total durchgedreht. Außerdem vermutete sie hinter meinen ersten GFK-Gehversuchen eine neue perfide Weise, sie zu manipulieren – und irgendwie lag sie nicht falsch damit. Dachte ich doch, sie mit den 4 Schritten jetzt in die Richtung zu bekommen, in die ich sie so erfolglos hatte schubsen wollen. Dabei kam es zu recht absurden Situationen. Einmal fragte ich sie, wie gelernt, ob sie denn nun auch meine Sichtweise hören wolle. Ich war völlig überrumpelt als mir ihr „Nein“ entgegenscholl. Im ersten Moment wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte. Völlig aufgewühlt lief ich in der Wohnung hin und her, unfähig mit meinen Emotionen umzugehen, lief ich erneut zu ihrem Zimmer, öffnete die Tür nach kurzem Anklopfen und rief: „Und jetzt sag ich es dir trotzdem!…“

Für eine Weile verstummte ich nahezu – ich bemerkte wie sehr meine Sprache von Forderungen,Bewertungen und Urteilen geprägt war, und: Die neuen Worte standen noch nicht zur Verfügung. Da habe ich mich zur Grundausbildung angemeldet. Mein Ziel war es, die GFK zu „meiner“ Sprache zu machen: Am Ende habe ich bayrische GFK gesprochen.

Mit der Zeit kamen die ersten Gehversuche im Arbeitsumfeld, und ich habe mich oft schriftlich mit den vier Schritten auf schwierige Themen vorbereitet. Dabei fiel mir auf, dass Selbstempathie und die Auseinandersetzung mit meinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen die wichtigste Voraussetzung waren (und sind), um mir die „andere Seite“ mit offenem Herzen anschauen zu können.

Mit meinem „Kindelein“ war und blieb es lange Zeit schwierig – und ich glaube, dass es einige Trainer gibt, die viel Geduld und Empathie in mich und unsere Geschichte eingebracht haben. Dafür bin ich heute sehr dankbar. Hier habe ich Unterstützung und Hoffnung erfahren, die dazu beitrugen „dabei zu bleiben“. Dabei gelang es immer wieder – und später auch immer öfter, die GFK in meinen schwierigen Momenten zur Verfügung zu haben und es stellten sich jetzt glücklicherweise immer wieder Ruhephasen im Leben daheim ein.

Im Jahr nach der Grundausbildung begann ich die Ausbildung zur empathischen Mediatorin. Hier habe ich mich mit meinem eigenen Konfliktverhalten auseinandersetzen können und habe GFK geübt, geübt, geübt….

Beruflich entwickelte ich mich in Richtung Projektmanagement. Bei der Zusammenarbeit mit Menschen, Zeit- und Budgetdruck hat mir die GFK immer mehr geholfen. Selbstempathie und ein respektvoller Umgang mit meinen Mitmenschen sind für mich der Weg für ein lebendiges Miteinander geworden. Perspektivwechsel und ein aufmerksames Wahrnehmen möglicher Bedürfnisse verhelfen mir heute zu mehr Verständnis für mich und andere. Damit kann ich Raum schaffen für Strategien, die allen nutzen.

Ein großer Schock war für mich, als ich eines Tages mit einem anderen Trainer erlebte, dass es auch in der GFK-Gemeinde ganz unterschiedliche Auslegungen der Ausdrucksformen gibt. Ich habe dies als Kritik an „meiner“ GFK gesehen und war tief erschüttert. Hatte ich gelernt, dass alle „Versuchsballons“[1] als Frage formuliert werden sollten – mit einer Ausnahme: Die Frage, „bist du sauer?“ In dieser so offensichtlichen Gefühlslage könnte die Frageform zu einer Eskalation führen, weil der Gesprächspartner vielleicht denkt, er soll provoziert werden – es ist ja schließlich mehr als deutlich, dass er sauer ist. Da wurde also die Aussageform praktiziert. Mein neuer Trainer vertrat jedoch ganz klar und deutlich eine andere Meinung. Ich war stark verunsichert und zweifelte an allem, was ich gelernt hatte. Das Wochenende hat mich viele Tränen gekostet. Gleichzeitig war dies auch der Start zu „meiner GFK“, der Erkenntnis, dass die GFK nicht nur eine Aneinanderreihung von Worten ist. Jetzt entwickelte sich meine innere GFK-Haltung.

Nach nunmehr 7 Jahren mit der GFK ist sie ein fester Bestandteil meines Lebens geworden. Jedes Jahr nehme ich an Trainings teil. Das „Baden in GFK-Energie“ gibt mir Kraft und Freude. Nach weiteren Ausbildungen in den Bereichen Coaching, Gruppendynamik und Supervision arbeite ich jetzt mit Teams und dabei ist die GFK ist die Säule, die alles zusammenhält. Sie ist die Brücke, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen und das Leben lebendig und friedvoll zu gestalten.

Gleichzeitig entwickeln sich neue Phänomene und neue Herausforderungen. Ich werde immer empfindlicher, wenn ich Bewertungen höre und bin es manchmal so müde, sie in Bedürfnissen zu übersetzen. Es fällt mir immer noch schwer auf eine stimmige Balance zu achten in Hinblick auf meine Bedürfnisse und die der anderen. Ich liebe es Wertschätzung auszudrücken. Die leuchtenden Augen meiner Mitmenschen sind wie ein Geschenk für mich selbst. Und manchmal brauche ich es auch noch, von ganzem Herzen zu lästern.

Mein Kindelein, also meine Tochter, die mittlerweil 21 Jahre alt ist, mag die GFK immer noch nicht. Nicht selten höre ich von ihr: „Lass mich damit in Ruhe!“ Könnt ihr euch vorstellen, wie es mir ging, als sie mich vor einigen Wochen gefragt hat: „Mami, bitte sag mir doch mal, was bei dir angekommen ist?“

[1] Unter Versuchsballon verstehe ich einfühlsame Fragen und Sätze, mit denen man versucht, mit dem Gegenüber in Kontakt zu kommen, wie z.B.: „Ist es dir wichtig, dass deine persönliche Meinung etwas zählt?“.

 

[Herausgegeben in: Und plötzlich öffnet sich eine Tür: GFK-Erfolgsgeschichten, Junferverlag 2014, Ingrid Holler]